DIW Wochenbericht 32 / 2023, S. 437
Jo Seldeslachts, Erich Wittenberg
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Herr Seldeslachts, wie hat sich die Zahl der großen deutschen Unternehmen, die gemeinsame Anteilseigner haben, seit der Finanzkrise entwickelt? Die Anzahl der großen deutschen Unternehmen, die gemeinsame Anteilseigner haben, hat seit der Finanzkrise deutlich zugenommen. Bei den 25 größten börsennotierten Unternehmen stieg die Zahl der Unternehmen mit gemeinsamen Eigentümern von elf im Jahr 2004, also vor der Finanzkrise, auf 22 Unternehmen im Jahr 2015 nach der Finanzkrise.
Warum ist das Thema der gemeinsamen Eigentümerstrukturen interessant für Sie? Vor 25 Jahren gab es noch nicht so viele gemeinsame Eigentümerstrukturen wie jetzt, aber das hat sich geändert, weil wir als Kleinanleger uns mehr für billige Finanzprodukte interessieren. Große amerikanische Vermögensverwaltungen wie Vanguard und BlackRock investieren sehr diversifiziert und bieten preiswerte Produkte an. Das ist gut für uns als Anleger, hat aber auch als Konsequenz, dass nur wenige große Vermögensverwalter riesige Beteiligungen an börsennotierten Unternehmen haben – sowohl in den USA als auch in Europa. Vielleicht ist das momentan kein Problem, aber sicher ist, dass die großen Vermögensverwaltungen viel Einfluss ausüben können, wenn sie möchten. Wir sind uns nicht sicher, ob und wie sie ihren Einfluss nutzen werden, aber es ist sicher, dass sie enorm große Macht haben.
Welche Rolle spielt die Finanzkrise bei dieser Entwicklung? Vor der Finanzkrise waren die größten institutionellen Investoren in deutsche Unternehmen die Banken. Die Finanzkrise wirkte sich sehr negativ auf die Banken aus. Deshalb haben sie sich zurückzogen und wieder auf ihr Kerngeschäft konzentriert. An ihre Stelle traten Vermögensverwalter, die in der Regel größer und stärker diversifiziert anlegen als Banken. Im Zuge dessen hat das gemeinsame Eigentum zugenommen.
Gemeinsame Eigentumsverhältnisse sind in den USA durchaus häufig. Gehen wir in Deutschland in die gleiche Richtung? Der Unterschied zwischen Deutschland und den USA ist immer noch groß, da Vermögensverwalter dort viel größer und präsenter sind. Aber die Lücke schließt sich, da die Vermögensverwalter als gemeinsame Investoren auch in Deutschland an Bedeutung gewinnen.
Welche wettbewerbsrechtlichen Folgen hat die zunehmende Eigentümervernetzung deutscher Unternehmen? Theoretisch kann sich gemeinsames Eigentum stark auf den Wettbewerb auswirken, da gemeinsame Eigentümer sowohl die Möglichkeit als auch den Anreiz haben, Unternehmen, an denen sie beteiligt sind, zu kontrollieren. Es gibt auch mehrere empirische Belege dafür, dass dies der Fall ist, aber es sind noch weitere Untersuchungen in diesem Bereich erforderlich.
Könnten Sie ein Beispiel nennen? Wenn ich beispielsweise einen Anteil von 20 Prozent an zwei konkurrierenden Unternehmen besitze, kann ich die Strategien dieser Unternehmen beeinflussen. Ich könnte auch einen Anreiz haben, den Wettbewerb zwischen diesen beiden Unternehmen zu verringern, da ich davon profitiere, wenn die Gewinne beider Unternehmen steigen.
Was bedeutet die von Ihnen beschriebene Entwicklung für die Wirtschaftspolitik? Gibt es einen Punkt, an dem der Staat eingreifen müsste? Zum gegenwärtigen Zeitpunkt sollten sich die Regulierungsbehörden lediglich darüber im Klaren sein, dass die Netze der gemeinsamen Eigentümer in deutschen Unternehmen wachsen und aufgrund des zunehmenden Einflusses amerikanischen Vermögens immer dichter werden.
Das Gespräch führte Erich Wittenberg.