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Midijobs sind ein Irrweg

Blog Marcel Fratzscher vom 10. März 2023

Die Regierung hat geringfügige Beschäftigung so attraktiv wie noch nie gemacht. Damit setzt sie fatale Anreize und fördert ausgerechnet die, die es gar nicht nötig haben.

Die Bundesregierung fördert geringfügige Beschäftigung mit niedrigen Einkommen stärker denn jemals zuvor. Sie hat vor allem die Förderung sogenannter Midijobs massiv ausgeweitet. Diese Strategie ist ein Irrweg, der teuer, nicht zielgenau, wenig effektiv und für zu viele Menschen eine Teilzeitfalle ist. Es gibt deutlich bessere Alternativen, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

Dieser Text erschien am 10. März 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.

Aber der Reihe nach. Als Midijobs werden Beschäftigungsverhältnisse bezeichnet, in denen das Bruttoeinkommen zwischen 520 und 2.000 Euro liegt. Die Beschäftigten in solchen Jobs werden finanziell signifikant entlastet, da sie nur einen geringeren Anteil der Beitragssätze für die gesetzliche Rentenversicherung bezahlen müssen. Gleichzeitig erhalten sie die vollen Rentenansprüche. Der vermeintliche Vorteil: Es bleibt mehr Netto vom Brutto, ohne dass die Beschäftigten auf Rentenansprüche im Alter verzichten müssen. Und dies betrifft sehr viele Menschen in Deutschland: Mittlerweile arbeiten 6,2 Millionen Menschen oder 18 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in solchen Midijobs – Tendenz stark steigend. Attraktiver wurden diese Jobs zuletzt, als die Bundesregierung die Verdienstobergrenze zu Jahresbeginn von 1.600 auf 2.000 Euro angehoben hatte.

Die Logik dahinter klingt erst einmal schlüssig, die Vorteile scheinen auf der Hand zu liegen. Aber eine Analyse meiner Kollegen am DIW Berlin zeigt die Nachteile und Kosten dieser Regelung. Zum einen bedeuten Midijobs einen Bruch mit dem sogenannten Äquivalenzprinzip in der Rentenversicherung. Hinter dem Prinzip steht der Vorsatz, dass jeder und jede Beschäftigte unabhängig von der Höhe des Lohns oder Einkommens den gleichen monatlichen Anspruch an Rentenzahlungen für jeden eingezahlten Euro erhält. Bei Midijobs aber findet eine Umverteilung statt, da die 6,2 Millionen Midijobbenden ja die vollen Rentenansprüche erhalten, obwohl sie nur einen geringeren Anteil der Beitragssätze einzahlen. Es ist auch keine Umverteilung von den Arbeitgebern, sondern auch eine zulasten anderer Beschäftigter und Steuerzahlender. Schließlich müssen die vollen Rentenansprüche ja finanziert werden – und das geschieht nicht nur aus Beiträgen, sondern auch aus Bundeszuschüssen, die mit Steuergeldern bezahlt werden.

Midijobs entlasten viele Besserverdienende und setzen falsche Anreize

Es wäre weniger problematisch, wenn dies eine Umverteilung von Reich zu Arm wäre, also letztlich Menschen mit geringen Ansprüchen und einem hohen Risiko von Altersarmut profitieren würden. Aber die Studie zeigt, dass dies nicht der Fall ist, denn fast 30 Prozent aller Beschäftigten in Midijobs leben in Haushalten mit überdurchschnittlich hohen monatlichen Einkommen und 15 Prozent mit überdurchschnittlich hohen Stundenlöhnen. Nur jede und jeder vierte Midijobbende lebt in Haushalten mit sehr geringen Einkommen mit einem hohen Risiko von Armut. Zuletzt betrugen die staatlichen Kosten für Midijobs rund eine Milliarde Euro – diese Summe kommt damit aber nur einem kleinen Teil Menschen zugute, die wirklich hilfsbedürftig sind. Damit ist es ein ungeeignetes Instrument, Armut und Altersarmut zu bekämpfen.

Eine dritte Frage ist, ob Midijobs die richtigen Anreize setzen, damit Menschen arbeiten oder mehr Stunden arbeiten, weil sie mehr netto von ihrem Bruttoeinkommen behalten können. Die Empirie zeigt jedoch, dass Midijobs häufig zum Gegenteil führen und sich als Teilzeitfalle erweisen. So arbeiten manche Menschen weniger Stunden, um in den Midijob-Bereich zu gelangen oder innerhalb des Bereichs mit geringeren Einkommen noch stärker entlastet zu werden. Durch die jetzige Erhöhung der Verdienstobergrenze um 25 Prozent trifft dies jetzt auf noch mehr Menschen zu als vor der Ausweitung.

Negative Impulse für Erwerbstätigkeit von Frauen

Und es gibt ein weiteres Problem: Je weniger Stunden Menschen arbeiten, desto geringer sind auch tendenziell ihre Stundenlöhne. So ist gerade der ungewöhnlich hohe Anteil an Teilzeit unter weiblichen Beschäftigten einer der Gründe für den ungewöhnlich großen Gender-Pay-Gap zwischen Männern und Frauen in Deutschland. Anders formuliert: Eine Abschaffung der Midijobs würde vor allem Frauen — die drei von vier aller Midijobbenden ausmachen — Anreize setzen, mehr Stunden zu arbeiten und dadurch auch höhere Stundenlöhne zu beziehen. Dies hätte einen doppelt positiven Effekt auf die Arbeitseinkommen von Frauen. Und gleichzeitig könnte dies die Rentenanwartschaften von Frauen erhöhen und damit das Armutsrisiko vor allem für Frauen reduzieren. Auch für Gesellschaft und Unternehmen würden profitieren: Denn wenn mehr Frauen in Vollzeit oder vollzeitnah arbeiten würden, könnte auch das Fachkräfteproblem abgemildert werden.

Midijobs sind also ein Irrweg: Zu viel Geld wird zu wenig zielgenau verteilt, die Förderung von Midijobs hält zudem viele Menschen davon ab, mehr Stunden zu besseren Löhnen zu arbeiten und dadurch durch ihre eigene Arbeit und nicht durch Umverteilung höhere Rentenansprüche zu erwerben.

Eine Abschaffung der Midijobs würde es dem Staat zudem ermöglichen, die eine Milliarde Euro an Kosten anders und gezielter zu verwenden. Sinnvoll wäre es, mit diesem Geld direkt Menschen mit geringen Rentenanwartschaften im Alter zu unterstützen oder den Zuschlag bei der Grundrente zu erweitern. Dies würde die Altersarmut deutlich effektiver reduzieren als Midijobs, die diese bei manchen durch die Teilzeitfalle eher erhöhen.

Die Bundesregierung sollte eine Kehrtwende bei der Subventionierung von prekären Beschäftigungsverhältnissen zu geringen Arbeitseinkommen vollziehen. Dies betrifft die fast sieben Millionen Menschen mit Minijobs und eben jene 6,2 Millionen Menschen mit Midijobs. Der beste Weg, um Armut zu reduzieren und die Absicherung zu verbessern, sind und bleiben bessere Arbeitseinkommen. Dafür sind Midijobs zu häufig keine Hilfe, sondern eine Hürde.

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