Blog Marcel Fratzscher vom 15. Februar 2023
Die US-Wirtschaftssubventionen sind eine Chance. Auch Unternehmen hierzulande könnten profitieren. Doch dafür müssen EU und Bundesregierung klüger vorgehen als die USA.
Die Empörung über den Inflation Reduction Act (IRA) der USA ist vielerorts groß, auch in Deutschland. Umgerechnet rund 350 Milliarden Euro an staatlichen Hilfen für Investitionen in Klimaschutz und nachhaltige Technologien stellt die Regierung von US-Präsident Joe Biden zur Verfügung, um grüne Technologien und in dem Zuge insbesondere die heimische Industrie zu fördern. Was hierzulande viele als Bedrohung betrachten, könnte in Wirklichkeit im doppelten Sinne die beste Botschaft sowohl für den globalen Schutz von Klima und Umwelt als auch für die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen und deutschen Wirtschaft sein – wenn EU und Bundesregierung richtig reagieren.
Das dominante Narrativ in Deutschland mit Blick auf den IRA zeigt deprimierend klar, dass wir noch immer nicht die Dringlichkeit beim Klima- und Umweltschutz verstanden haben. Denn das IRA-Programm wird einen wichtigen Beitrag zur Entwicklung neuer nachhaltiger Technologien und einer leistungsfähigen Infrastruktur leisten. Die Ablehnung Europas, und vor allem der deutschen Industrie, beruht auf dem Argument, der IRA schade der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen in Europa und würde dazu führen, dass Innovationen und die Entwicklung nachhaltiger Technologien in die USA verlagert werden. Dem Klima ist es jedoch egal, wo in der Welt eine klimaschonende Technologie entsteht.
Dieser Text erschien am 15. Februar 2023 bei Zeit Online in der Reihe Fratzschers Verteilungsfragen.
Der IRA ist aus zwei Gründen eine sehr gute Entwicklung für Deutschland und Europa: Zum Ersten, weil das Programm hilft, Klima und Umwelt zu schützen und es deutlich besser ist, als nichts zu tun. Das Programm enthält zahlreiche gute und häufig in der Diskussion hierzulande vergessene Elemente: Es schafft große Anreize für private Investitionen – statt hauptsächlich den Staat in der Pflicht zu sehen – und setzt sinnvolle Bedingungen für staatliche Steuererleichterungen, beispielsweise eine Ausbildungs- und Qualifizierungsoffensive der Unternehmen.
Zum Zweiten ist der IRA gut für Europa, weil das Investitionsprogramm Fehler und Schwächen enthält, die Europa die Chance geben, es besser zu machen und dadurch sogar an Wettbewerbsfähigkeit zu gewinnen. Denn der IRA ist hoch protektionistisch und benachteiligt ausländische Unternehmen enorm, was sich zwar kurzfristig für in den USA beheimatete Unternehmen rechnen könnte. Langfristig jedoch – das zeigen viele Studien – schadet ein solcher Protektionismus und behindert Innovation und Wettbewerbsfähigkeit.
Zum anderen sind manche Bedingungen des IRA für staatliche Subventionen, wie der Anteil lokal produzierter Vorleistungen, unrealistisch hoch. Wie eine neue Studie des DIW Berlin zeigt, ist die USA bei zahlreichen grünen Technologien viel zu abhängig von Rohstoffen und anderen Vorleistungen aus Ländern, mit denen die USA keinerlei Handelsabkommen haben. Somit müssen sich ausländische Unternehmen zumindest kurzfristig wenig Sorgen machen, ihr US-Geschäft einzubüßen. Die Politik in Europa sollte sich nicht zu leicht von den Warnungen ihrer Unternehmen einschüchtern lassen. Zudem haben Deutschland und Europa ähnliche industriepolitische Förderinstrumente.
Vor allem wir in Deutschland sollten zurückhaltend mit Protektionismusvorwürfen gegenüber den USA sein. Denn kaum ein Land hat in den vergangenen drei Jahren größere Subventionen über seiner Industrie ausgeschüttet als Deutschland. Allein im Jahr 2022 hat die EU-Kommission der Bundesregierung 356 Milliarden Euro an staatlichen Subventionen vor allem für die Industrie genehmigt. Mehr als die Hälfte aller Subventionen dieser Art in der EU flossen also in Deutschland. Das entspricht in etwa der Größe des IRA, dabei ist die US-Wirtschaft fünfmal größer als die deutsche.
Während die USA die IRA-Gelder für Klimaschutz und nachhaltige Technologien nutzen wollen, wird ein großer Teil der deutschen Subventionen für klimaschädliche fossile Energieträger ausgegeben. Was für eine verkehrte Welt ist das, in der wir staatliche Hilfen für nachhaltige Technologien kritisieren, aber noch größere eigene Subventionen für klimaschädliches Verhalten nicht einmal erwähnen?
Drei Elemente sollen Europas Antwort auszeichnen.
Zum einen sollten die Europäische Kommission und die Mitgliedsländer den Hauptfokus nicht auf Subventionen für Unternehmen, sondern auf bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen legen. In anderen Worten: Nicht Geld schafft Innovation und Wettbewerbsfähigkeit, sondern die Gesamtheit aller Voraussetzungen, um innovativ sein zu können. Dazu gehören eine gute Infrastruktur, eine exzellente öffentliche Forschungslandschaft, Fachkräfte, weniger Bürokratie und Regulierung und eine Vollendung des europäischen Binnenmarkts für Dienstleistungen, vor allem die Kapitalmarktunion. Daher sollte der primäre Fokus in Europa auf diesen Rahmenbedingungen liegen und nicht darauf, noch mehr Geld per Gießkanne an mächtige Industrieunternehmen auszuschütten.
Zweitens sollte mehr Wettbewerb und nicht mehr Protektionismus der Kern der europäischen Antwort sein. Dies erfordert beispielsweise, Unterstützungen nicht an lokale Vorleistungen zu knüpfen, sondern allen Unternehmen diese exzellenten Rahmenbedingungen in Europa bereitzustellen. Wettbewerb ist eine der wichtigsten Voraussetzungen für Innovation.
Und drittens muss die Antwort europäisch und nicht national sein. Und hier liegt meine größte Sorge: Die Bundesregierung scheint sich europäischen Lösungen, wie dem von der EU-Kommission vorgeschlagenen Souveränitätsfonds, zu verschließen und auf eine nationale Ausgestaltung zu bestehen. Dies würde nicht nur das ohnehin schon riesige Ungleichgewicht staatlicher Hilfen in Europa weiter vergrößern. Sondern es würde auch die Innovation und Attraktivität Deutschlands und Europas als Wirtschaftsstandort verschlechtern. Denn es würde bedeuten, dass Unternehmen mit 26 unterschiedlichen nationalen Regulierungen und Förderprogrammen zu kämpfen hätten.
Wir müssen vor allem in Deutschland endlich verstehen, dass der Schutz von Klima und Umwelt eine existenzielle Frage der Menschheit ist und auch des Wohlstands und der wirtschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands sein wird. Wir müssen verstehen, dass globale Probleme auch globale Lösungen erfordern und nicht nationale Alleingänge, wie wir sie in Deutschland zu häufig in den vergangenen 20 Jahren gerade in der Energie- und Wirtschaftspolitik gemacht haben. Das IRA-Programm der US-Regierung ist ein willkommener – wenn auch bei Weitem nicht idealer – Schritt in die richtige Richtung, um Innovation, den Aufbau von Infrastruktur und letztlich auch einen weltweiten Wettbewerb bei Klimaschutz und nachhaltigen Technologien zu stärken. Europa und Deutschland sollten die Schwächen des IRA-Programms als Chance verstehen, es selbst besser und damit Europa weltweit bei Klimaschutz, Innovation und Nachhaltigkeit führend zu machen.
Themen: Europa , Forschung und Entwicklung , Konjunktur , Unternehmen