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„EZB könnte schon bald gezwungen sein, die Zinsen wieder zu senken“

Statement vom 2. Februar 2023

Der Rat der Europäischen Zentralbank (EZB) hat heute beschlossen, den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte zu erhöhen. Dazu ein Statement von Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin):

BlockquoteDie Europäische Zentralbank (EZB) hat die in sie gesetzten Erwartungen erfüllt, den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte erhöht und eine weitere solche Zinserhöhung für März angekündigt. Sie hält an ihrem Kurs des moderaten Abbaus ihrer Anleihebestände fest. Ich erwarte, dass der EZB-Rat lediglich noch zwei weitere Zinserhöhungen in den kommenden Monaten vornehmen wird und den Leitzins zum Jahresende bereits wieder senkt. 

Die EZB musste selten Entscheidungen in so unsicheren Zeiten treffen wie heute. Der wirtschaftliche Ausblick ist extrem unsicher, und die wirtschaftlichen Risiken deuten auf eine schwächere Wirtschaftsentwicklung hin, vor allem wenn der Krieg in der Ukraine eskaliert oder sonstige Probleme bei Lieferketten oder Energiepreisen auftreten. Die Schwierigkeit für die EZB besteht in der unklaren Datenlage. Auf der einen Seite ist die Kerninflation mit knapp fünf Prozent viel zu hoch und zudem kürzlich nochmals gestiegen. Auf der anderen Seite weichen die Inflationserwartungen für die kommenden fünf Jahre nicht stark vom Ziel der Preisstabilität in Höhe von zwei Prozent Inflation ab. Auch gibt es zur Zeit keine Sorge um eine Lohn-Preis-Spirale oder eine zu expansive Finanzpolitik. Durch die Unsicherheit muss die EZB nun ihre Kommunikation vorsichtiger gestalten und nicht weiter versuchen, Markterwartungen so stark zu dominieren, wie sie es in den vergangenen Monaten getan hat. Es könnte ihrer Glaubwürdigkeit schaden, wenn sie durch unerwartete Entwicklungen deutlich von ihrem versprochenen Kurs abweichen muss. 

Die EZB befindet sich in einem Dilemma. Sie muss einerseits ihre Glaubwürdigkeit schützen und überzeugend signalisieren, dass sie alles tun wird, um möglichst schnell zu ihrem Mandat der Preisstabilität zurückzukehren. Andererseits ist ihre Geldpolitik bereits jetzt restriktiv und wirkt sich schon jetzt deutlich dämpfend auf die Wirtschaft in Deutschland und des gesamten Euroraums aus. Nicht das Niveau, sondern die Geschwindigkeit der Zinserhöhungen hat zahlreiche Investitionen auf Eis gelegt. So ist die Kreditvergabe der Banken an die Realwirtschaft in den vergangenen Monaten deutlich zurückgegangen. Die Arbeitslosigkeit im Euroraum dürfte in diesem Jahr auch deshalb leicht zunehmen. Vor allem in der Baubranche sehen wir die stark restriktiven Effekte der Geldpolitik durch höhere Finanzierungskosten. Wenn der trübe Wirtschaftsausblick 2024 und 2025 anhält, dann dürfte die EZB zum Ende des Jahres hin gezwungen sein, die Zinsen wieder zu senken.

Themen: Geldpolitik

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