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Die Bundesregierung sollte jetzt die Chancen einer europäischen Gaspreisbremse nutzen

Blog Marcel Fratzscher vom 20. Dezember 2022

Die Entscheidung der EU-Energieminister*innen, einen Gaspreisdeckel einzuführen, ist ein kleiner, aber wegweisender Schritt in die richtige Richtung, um die Kosten der Gaskrise für Europa in den Griff zu bekommen. Allerdings werden die angesetzte Höhe von 180 Euro pro Megawattstunde und die Beschränkung auf die Börsenhandelsplätze weder die Gas- und damit auch Stromkosten senken, noch die russischen Einnahmen aus den verbleibenden Exporten schmälern. Der Preis ist viel zu hoch angesetzt.

Mit der europäischen Gaspreisbremse müssen Exportländer wie Russland, aber auch Energiekonzerne in anderen Ländern, einen Preis von maximal 180 Euro pro Megawattstunde für ihr Gas akzeptieren. Dies, so der Plan, würde nicht nur Gas für Unternehmen und private Haushalte in ganz Europa günstiger machen, sondern auch dem deutschen Staat helfen, viele Milliarden an Subventionen einzusparen, und somit die Steuerzahler*innen entlasten. Zudem würde es Gaspreise auf absehbare Zeit wieder verlässlicher machen. Und es würde gerade auch dem russischen Regime wichtige Einnahmen entziehen, die ihm bei der Finanzierung des Kriegs gegen die Ukraine fehlen.

Aber um effektiv wirken zu können, hätte der Gaspreis nicht, wie am Montag beschlossen, bei 180 Euro pro Megawattstunde, sondern eher bei 70 Euro gedeckelt werden müssen. Das entspräche der Deutschen Gaspreisbremse für Großabnehmer und mit Netzentgelten etc. den 12 cent pro Kilowattstunde für Haushalte. Ein Preis, der immer noch ein Vielfaches des historischen Preis von 20 Euro beträgt, aber deutlich geringer ist als die Preise, die wir in diesem Jahr gesehen haben. Er würde somit weiterhin Gasproduzenten weltweit motivieren, Produktion und Liefervolumen zu maximieren.

Lange Zeit hat Deutschland den europäischen Gaspreisdeckel abgelehnt mit dem Argument, eine Preisbremse würde die dringend notwendigen Anreize zum Gassparen abschwächen. Doch dann hat die Expert*innenkommission Gas und Wärme eine nationale Gaspreisbremse vorgeschlagen, mit der die Anreize zum Gassparen größtenteils erhalten bleiben. Was in Deutschland bei der Ausgestaltung der Subventionierung von Gaskunden möglich ist, kann analog auch bei einer regulatorischen europäischen Preisbremse durch die Ausgestaltung von Anreizelementen umgesetzt werden.infohttps://cepr.org/voxeu/columns/european-economists-eu-level-gas-price-cap-and-gas-saving-targets 

Risiko einer Gasmangellage gering

Die Sorge der Bundesregierung ist, dass ein niedrigerer Preis und eine solche Deckelung verhindern, dass knappes Gas nach Deutschland fließt und sich damit das Risiko einer Gasmangellage in Deutschland erhöht. Dies ist jedoch höchst unwahrscheinlich, denn fast alle Gaslieferungen über Pipelines könnten schon technisch nicht anderswo hin geliefert werden. Nur bei Flüssiggas stellt sich die Frage, ob wir einen Teil der Lieferungen, die wir mit höheren Preisen von asiatischen Käufern nach Europa umlenken, wieder verlieren könnten? Dazu zeigen die Analysen der Internationalen Energieagentur (IEA), dass der Großteil der zusätzlichen Gasmengen für Europa nicht durch hohe Preise, sondern durch die schwache wirtschaftliche Entwicklung und den Covid-Lockdown in China „frei geworden“ sind.infohttps://www.iea.org/reports/gas-market-report-q4-2022, S. 24

Die zweite, wichtige, Reduktion der asiatischen Flüssiggasnachfrage ist zurückzuführen auf den Umstieg bei Stromerzeugung und industriellen Prozessen von Gas auf Kohle und Öl. Dafür reichen bereits Preise von rund 50 Euro pro Megawattstunde. Da China, Korea, Japan und Indien Flüssiggas mit ölindexierten Langzeitverträgen kaufen, hatten die extrem hohen Spotpreise darüber hinaus dort kaum eine Wirkung auf Endkunden und damit die Gasnachfrage. Nur in ärmeren Ländern, vor allem Pakistan, Bangladesch und Thailand, führten die extrem hohen Preise zu einer weiteren Nachfragereduktion – und rund 1% mehr Gasangebot in Europa.

Eine effektive europäische Gaspreisbremse würde verhindern, dass Europa weiterhin mit extrem hohen Preisen den ärmsten der armen Länder Schaden zufügt. Denn durch den Ankauf fast jeglichen weltweit verfügbaren Flüssiggases zu jedem noch so hohen Preis hat Deutschland einige sehr arme Länder aus dem Markt gedrängt. Dies hat nicht nur zu einer massiven Energieknappheit in diesen Ländern geführt, sondern auch zu einer Explosion der Energiepreise und damit zu katastrophalen sozialen, umweltpolitischen und geopolitischen Kosten. Auch aus dieser Perspektive wäre eine effektive europäische Gaspreisbremse von 70 Euro pro Megawattstunde nicht nur kein Problem für die Versorgungssicherheit, sondern Deutschland würde weniger nationalistisch handeln, gerade gegenüber den ärmsten Ländern. Das stärkt den für uns so wichtigen internationalen Zusammenhalt.

Europäischer Deal stärkt die Versorgungssicherheit

Ein weiterer Vorteil einer effektiven europäischen Preisbremse ist: Sie wirkt sofort und für alle Gasnutzer*innen in ganz Europa. Das ist dringend notwendig für den Zusammenhalt in Europa in einer Zeit, in der Russland durch Gasversorgungsunterbrechungen unsere Gesellschaften schwächen möchte. Sie ist hilfreich für die gasintensive Industrie in Deutschland, die derzeit befürchtet, dass die europäischen Beihilferegelungen die nationale Gaspreisbremse verzögern und einschränken.

Ein europäischer Deal stärkt zugleich die Versorgungssicherheit. Sollte zum Beispiel Chinas Gasbedarf nach dem Ende der Covid-Lockdowns wieder steigen, dann wird es – egal wie hoch die Preise sind – weniger seines Flüssiggases aus Langfristverträgen weiterverkaufen. Verbindliche nationale Gassparziele helfen, dass alle Länder Maßnahmenpakete zum Gaseinsparen wie von der Expert*innenkommission Gas und Wärme vorgeschlagen, umsetzen. Zusammen mit dem Preislimit bieten sie zugleich die Grundlage für einen funktionierenden Solidaritätsmechanismus, damit im Mangelfall keine Konflikte entstehen, sondern der Gasaustausch europaweit funktioniert.

Eine europäische Gaspreisbremse mit verbindlichen Gaseinsparzielen, bei der Anreize zum Gassparen erhalten bleiben, ist wichtig für Deutschland. Aber nur dann, wenn die Höhe des Deckels und die regulatorische Ausgestaltung auch wirklich sinnvoll festgelegt werden.infohttp://library.fes.de/pdf-files/a-p-b/19747.pdf So könnte ein großer Teil der 200 Milliarden Euro an Subventionen für die nationalen Preisbremsen und Rettungsfonds frei werden und stattdessen in die Zukunft investiert werden. Zugleich könnten gasintensive Unternehmen in Deutschland sofort von der Entlastung profitieren. Eine gemeinsame Antwort Europas auf die russische Aggression leistet außerdem einen wichtigen Beitrag zum Schutz der demokratischen Strukturen vor Populismus sowie der Wirtschaft vor extremen Kosten unserer europäischen Partner. Ein Deckel von 180 Euro wird all diese Vorteile des Instruments aber nicht erfüllen können. Es wird schon bald nachverhandelt werden müssen. Und Deutschland wird gut daran tun, sich für einen niedrigeren Deckel einzusetzen – in Kombination mit verbindlichen Gassparzielen und Einsparanreizen.

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