Medienbeitrag vom 5. September 2022
Der Beitrag erschien in der Frankfurter Rundschau.
Deutschland gibt zu wenig Geld für Bildung aus. Es braucht mehr, um alle zu integrieren, gerade mit Blick auf die Geflüchteten aus der Ukraine, sagt die DIW-Forscherin Laura Schmitz.
Das Schuljahr 2022/23 verspricht erneut kein leichtes zu werden: viertes Corona-Schuljahr, Lehrkräftemangel, Energiekrise, die Integration von mittlerweile über 150 000 geflüchteten ukrainischen Kindern und Jugendlichen in das deutsche Bildungssystem – das sind nur einige der Herausforderungen, vor denen Schulen aktuell stehen. Das Problem: Leider spiegelt sich die Größe der Herausforderungen nach wie vor nicht in den Geldern wider, die der Staat für Bildung ausgibt.
Die verheerenden Ergebnisse der jüngsten Vergleichsstudien wie IQB-Bildungstrend und Pisa zeigen die Dringlichkeit einer ausreichenden Finanzierung einmal mehr auf. Immer mehr Schüler:innen erfüllen die Mindestanforderungen in den Kernfächern nicht. Auch in Sachen Chancengleichheit sieht es schlecht aus: Die Pisa-Ergebnisse hängen wieder zunehmend vom Elternhaus ab – stärker als im OECD-Durchschnitt ist dieser Zusammenhang in Deutschland ohnehin noch immer.
Der Gastbeitrag von Laura Schmitz erschien am 5. September 2022 in der Frankfurter Rundschau.
Dafür ist nicht nur die Corona-Pandemie verantwortlich, sondern auch die anhaltende Unterfinanzierung des öffentlichen Bildungssektors. Gemessen an der Wirtschaftsleistung liegen die öffentlichen Bildungsausgaben in Deutschland seit Jahrzehnten unter dem OECD-Durchschnitt. 4,7 Prozent der Wirtschaftsleistung sind 2021 hierzulande von der öffentlichen Hand für Bildung ausgegeben worden. 2008 wurden auf dem Bildungsgipfel sieben Prozent als Ziel ausgerufen.
Bislang wurde diese Zielgröße nie erreicht. Trotzdem ist seitdem natürlich viel passiert – allen voran der Ausbau der frühkindlichen Bildung und Betreuung und der Ganztagsschulen. Die Rechtsansprüche auf Kinderbetreuung für unter Dreijährige seit 2013 und auf einen Ganztagsplatz in der Grundschule bis 2026 haben jeweils wichtige Weichen für mehr Chancengleichheit gestellt. Nun gilt es aber auch, mehr in einheitliche Qualitätsstandards der Betreuungsangebote zu investieren. Wichtig für die Rekrutierung von gutem Personal ist auch, dass diese Arbeit angemessen bezahlt wird.
Dass wir von dem Sieben-Prozent-Ziel noch immer so weit entfernt sind, ist besonders deshalb problematisch, weil es im Vergleich zu 2008 ganz neue – und unter vielen Gesichtspunkten größere – Herausforderungen gibt. Nach der Aufnahme Hunderttausender aus Syrien geflüchteter Kinder und Jugendlicher nach 2015 stehen wir nun vor der Mammutaufgabe der erfolgreichen Integration ukrainischer Geflüchteter in das deutsche Bildungssystem. Dabei sind Schulen der Dreh- und Angelpunkt einer erfolgreichen Integration.
Konkret heißt das: Es braucht neben zusätzlichen Lehrkräften auch Psycholog:innen und Sozialarbeiter:innen, die in der Lage sind, den besonderen Bedürfnissen dieser Gruppe sowie auch aller anderen Schüler:innen gerecht zu werden. Nicht zuletzt ist als Folge der Corona-Pandemie auch die Zahl an Kindern und Jugendlichen mit psychosozialen Belastungen ohne Fluchthintergrund stark angestiegen.
Das Problem ist jedoch: Die Fachkräfte stehen nirgends und warten – sie sind rar gesät. Und das ist die wahrscheinlich größte Herausforderung. Nicht zuletzt angesichts des Rechtsanspruchs auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter dürfte sich der ungelöste Fachkräftemangel in den nächsten Jahren sogar noch verschärfen. Hier muss die Politik dringend gegensteuern: Langfristig, indem das Lehramt durch bessere Arbeitsbedingungen wieder an Attraktivität gewinnt und die Barrieren für Studienanfänger:innen abgebaut werden. Kurzfristig können eine vereinfachte Anerkennung ausländischer Qualifikationen und die Förderung von Quereinsteiger:innen Abhilfe schaffen. Ob diese Maßnahmen ausreichen, um die gewaltigen Herausforderungen zu meistern, ist ungewiss. Der anhaltende Sparkurs ist hierfür aber sicher nicht zuträglich.
Hinzu kommt der Sanierungsstau an deutschen Schulen – und die finanziellen Herausforderungen des vierten Corona-Jahres: Wieder muss mit Mehrausgaben für kostenlose Schnelltests, Luftfilter und IT-Ausstattung und -personal gerechnet werden.
All dies lässt wenig Hoffnung zu, dass für das nächste Schuljahr eine Trendwende zu erwarten ist. Neben den Leistungen sollte uns vor allem das Wohlergehen von Kindern und Jugendlichen interessieren: Nach drei Corona-Schuljahren, in denen deren Interessen nur wenig gehört wurden, ist es jetzt umso wichtiger, dass sie wieder mehr in den Fokus rücken. Eine angemessene Finanzausstattung ist die Grundvoraussetzung für ein hochwertiges Bildungsangebot. Und dieses ist die Grundlage für den zukünftigen Wohlstand unseres Landes.