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20 Jahre Euro-Bargeld: Eine Erfolgsgeschichte mit Makeln: Kommentar

DIW Wochenbericht 1/2 / 2022, S. 16

Marcel Fratzscher

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Der Euro – genauer gesagt die Geldscheine und Münzen – ist am 1. Januar 2022 bereits 20 Jahre alt geworden. Nicht wenige Menschen in Deutschland fremdeln jedoch noch immer mit ihm. Manche rechnen gar noch Preise zurück in D-Mark, um ein Gefühl dafür zu bekommen, ob ein Produkt nun teuer oder billig ist. Dabei hat der Euro seine Versprechen viel besser erfüllt als man hätte erwarten können. Zwar dürften dem Euro in den kommenden fünf Jahren die schwierigsten Herausforderungen noch bevorstehen. Klar ist jedoch: Der Euro ist eine Erfolgsgeschichte. Er war in den vergangenen 20 Jahren genauso stark und stabil wie die D-Mark in den vier Jahrzehnten davor.

Der Euro und die EZB haben sich zudem als Stabilitätsanker in drei großen Krisen bewiesen: der globalen Finanzkrise, der europäischen Krise und jetzt der Pandemie. Die internationale Rolle des Euro und die hohe Glaubwürdigkeit der EZB haben in diesen Krisen dazu geführt, dass trotzdem Kapital nach Europa gekommen ist und die Finanzierungsbedingungen für Unternehmen, Regierungen und Menschen günstig blieben. Der Euro hat auch die wirtschaftliche Integration in Europa vorangetrieben, er hat zu einem deutlichen Anstieg des Handels und des Kapitalverkehrs innerhalb Europas geführt. Davon haben alle europäischen Länder profitiert, allen voran die offene Volkswirtschaft Deutschlands. Ein weiterer Aspekt der Erfolgsgeschichte des Euro ist seine globale Bedeutung als eine der Leitwährungen. Vor allem für Länder in Europa, die den Euro (noch) nicht als ihre Währung haben, und Nordafrika ist der Euro ein wirtschaftlicher Magnet mit hoher Anziehungskraft. Wie stark dieser Magnet ist, zeigte die Griechenland-Krise im Jahr 2015, als die Mehrheit der Griechinnen und Griechen von einem Verbleib im Euro überzeugt waren.

Wieso ist der Euro dann heute, vor allem in Deutschland, noch immer so umstritten und ungeliebt? Die Antwort erhalten Sie, wenn Sie einen Blick auf einen der Euro-Geldscheine werfen. Sie sehen Brücken und Torbögen unterschiedlicher Architekturen. Das Problem: Nichts von dem, was Sie auf diesem Geldschein sehen, hat je existiert. Alle Motive sind frei erfunden und nutzen lediglich Architekturformen aus verschiedenen Epochen der europäischen Geschichte, etwa der Klassik, des Barock oder der Renaissance. Der wichtigste Grund für dieses Design war, dass man sich nicht auf Personen oder Monumente einigen wollte, da letztlich alle immer auch einen nationalen Bezug haben.

Und genau hier liegt der Fehler: Die größte Stärke und der Kern der Identität Europas ist seine Vielfalt an Menschen, Kulturen, Ideen und Epochen. Statt diesen Reichtum mit Stolz auf den Geldscheinen des Euro zu zeigen, entschied man sich, fiktive Architekturmotive zu schaffen. Wie soll dies Identität stiften und Identifikation mit Europa oder einer gemeinsamen Währung fördern? Würden wir als Deutsche nicht lieber einen Geldschein beispielsweise mit Shakespeare, Da Vinci und Marie Curie, die Teil der europäischen Kultur sind, in der Hand halten, als einen mit Motiven, die es gar nicht gibt?

Diese Euro-Geldscheine sind symptomatisch dafür, dass wir Europäerinnen und Europäer noch immer sehr in nationalen Denkmustern gefangen sind, den Wettbewerb mehr sehen als die Gemeinsamkeiten mit unseren Nachbarn. So auch beim Euro: Ein häufiges Argument der deutschen Kritiker des Euro ist, andere Länder hätten mehr vom Euro profitiert als wir. Kann das wirklich ein relevanter und legitimer Einwand gegen den Euro sein?

Nur wenn wir in Deutschland beginnen zu realisieren, dass wir genauso sehr Europäerinnen und Europäer sind, werden wir das wirkliche Potenzial Europas und auch des Euro ausleben können. Mehr noch, in einem brutaler werdenden System des Wettbewerbs mit China und den USA wird Europa seine Interessen nur bewahren können, wenn wir mit einer Stimme sprechen – und dazu gehört ganz entscheidend ein Euro, der eine starke Funktion als globale Leitwährung hat und dem US-Dollar perspektivisch Konkurrenz macht. Die Reformen liegen auf der Hand: Erforderlich ist eine Vollendung der Währungsunion und eine Behebung der Geburtsfehler des Euro, eine Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion, eine kluge Fiskalunion und eine besser koordinierte Strukturpolitik.

Dieser Kommentar ist in einer längeren Version am 4. Januar 2022 im Tagesspiegel erschienen.

Themen: Geldpolitik, Europa

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