Statement vom 22. Juli 2021
Die Ergebnisse der heutigen Sitzung des Rates der Europäischen Zentralbank (EZB) kommentiert Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), wie folgt:
Die EZB hat sehr klar signalisiert, dass sie für lange Zeit an ihrem Kurs der expansiven Geldpolitik festhalten wird – ihre neue Strategie lässt ihr auch keine andere Wahl. Die neue Strategie erhöht das Inflationsziel und würde daher eigentlich sofort weitere expansive Maßnahmen erfordern. Aber diesen Streit wollte der Zentralbankrat wohl vermeiden. Ich erwarte, dass die EZB im kommenden Jahr ihre Anleihekäufe verlängern wird und die Zinsen noch mindestens bis 2024 bei Null bleiben werden. Die EZB realisiert zurecht, dass der gegenwärtige Anstieg der Inflation lediglich eine temporäre Korrektur ist, die Preisentwicklung jedoch mittelfristig zu schwach ist, um ihr Preisstabilitätsziel zu erreichen.
Der wirtschaftliche Neustart nach der Pandemie ist kein Selbstläufer und der gegenwärtige Optimismus überzogen. Die Risiken für die Weltwirtschaft, und auch für die Wirtschaft des Euroraums und vor allem Deutschlands, sind nach wie vor enorm. Die Pandemie wird weltweit nicht in den kommenden zwei Jahren überwunden sein, zahlreiche Länder könnten Schuldenkrisen oder Finanzkrisen erfahren und auch Deutschland könnte durch den fehlenden Mut zur Transformation und einen Anstieg von Unternehmensinsolvenzen empfindliche Rückschläge erfahren.
Die EZB muss diese Risiken in ihrer Geldpolitik berücksichtigen. Das größte Problem für die EZB könnte jedoch die Finanzpolitik Deutschlands werden, wenn die nächste Bundesregierung durch Kürzungen von Wirtschaftshilfen und Investitionen die Wirtschaft Deutschlands und Europas schwächt und somit die EZB in eine noch schwierigere Lage bringt. Es ist die Finanzpolitik Deutschlands, die den größten Einfluss auf die EZB-Geldpolitik in den kommenden Jahren haben wird. Ein starkes Investitionsprogramm, das einen Wachstumsimpuls für Deutschland und Europa setzt, wäre die beste Hilfe für die EZB, damit diese ihre Nullzinspolitik beenden kann.
Themen: Geldpolitik