Medienbeitrag vom 21. Januar 2021
Dieser Gastbeitrag von Alexander Kritikos erschien am 19.1.2021 in der WELT.
Der Wirtschaftseinbruch in Griechenland durch Corona ist enorm. Aber die Regierung Mitsotakis verteilt die Hilfsgelder der EU nicht mit der Gießkanne, sondern fördert gezielt Zukunftsprojekte: Klimaschutz, Bildung, Digitalisierung.
Viele Hoffnungen der griechischen Bevölkerung ruhten auf dem neuen Premier Kyriakos Mitsotakis, als er im Sommer 2019 an die Regierung kam. Nach einer gefühlten Ewigkeit im Krisenmodus versprach er, endlich das zu tun, was Troika, EU und andere Gläubiger seit zehn Jahren von seinen Vorgängerregierungen vergeblich erhofft und erfleht und manchmal auch zu erzwingen versucht hatten: nämlich das Land von innen heraus zu reformieren und auf einen stabilen Wachstumspfad zu bringen.
Corona hat diese Hoffnung scheinbar zunichtegemacht. Anstatt eines zunächst anvisierten Wachstums von 2,5 bis drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) ist Griechenland im Jahr 2020 um ein weiteres Zehntel geschrumpft, kaum vorstellbar angesichts des ohnehin schon niedrigen BIP-Niveaus.
Griechenland erreicht damit in etwa das Wohlstandsniveau, auf dem es beim Eintritt in die Euro-Zone war. Zwar sind die Infektionszahlen in Griechenland anteilig weit niedriger als etwa in Deutschland, doch trifft die Corona-Krise das Land härter als die Industrienationen Mitteleuropas. Griechenlands Wirtschaft hängt weitaus mehr von Branchen ab, die unter den Beschränkungen litten, zuvorderst dem Tourismus. Der ist dieses Jahr, wenn nicht ganz weggeblieben, so doch um mehr als 80 Prozent eingebrochen.
Wenn Mitsotakis Glück hat, wird Griechenland zum Ende seiner geplanten Amtszeit im Sommer 2023 das BIP-Niveau zum Zeitpunkt seines Regierungsantritts erlangen. Damit einher gehen weitere negative Schlagzeilen: Die Staatsschuldenquote steigt wieder, weil die Staatseinnahmen spürbar zurückgehen und gleichzeitig die Staatsausgaben zur Stützung der betroffenen Sektoren in der griechischen Wirtschaft nicht unerheblich steigen.
Auch die privaten Banken drohen der Früchte ihrer Bemühungen in den letzten Jahren beraubt zu werden, hatten sie doch ihr Portfolio nicht bedienter Kredite mühselig von unglaublich hohen 45 Prozent auf immerhin rund 30 Prozent reduziert. Nun droht vor allem den Instituten, die Unternehmen in den betroffenen Branchen mit Krediten versorgt haben, erneut ein Anstieg fauler Kredite.
Und trotzdem sind die Aussichten nicht so trüb, wie dies auf den ersten Blick erscheinen mag. Denn die griechische Regierung hat sich durch die Corona-Krise nicht von ihrer wichtigsten Zielsetzung abbringen lassen: mehr Investitionen.
Ein wesentliches Merkmal der vergangenen zwei Dekaden war die markant niedrige Investitionsquote in Griechenland: Es wurde nur halb so viel pro Kopf investiert wie im EU-Durchschnitt. In absoluten Zahlen „fehlen“ damit jährlich rund 15 Milliarden Euro an Investitionen. Da muss man sich nicht wundern, wenn die griechische Wirtschaft häufig keine wettbewerbsfähigen Strukturen entwickelt hat; mithin fehlt es also an der Basis für ein solides Wirtschaftswachstum.
Genau hier will die neue Regierung ansetzen und den – seit Langem – fälligen Strukturwandel einläuten, um konkurrenzfähiger zu werden. Dafür kommen die im Zuge der Corona-Krise für die kommenden sechs Jahre bereitgestellten EU-Mittel in Höhe von 32 Milliarden Euro wie gerufen.
Während manch anderes Land in Südeuropa noch immer öffentlichkeitswirksam darüber streitet, wie das Geld verkonsumiert werden könnte, hat sich die griechische Regierung dieses Mal für eine konsequente Innovationsstrategie entschieden. Mit den Mitteln sollen Projekte und Investitionen in den drei Kernbereichen angeschoben werden, die ins Zentrum europäischer Zukunftspolitik gerückt sind: Klimaschutz und Ausbau erneuerbarer Energien, Aus- und Weiterbildung, Digitalisierung der Wirtschaft und der öffentlichen Verwaltung.
Von diesen Investitionen kann im Land ein Innovationsschub ausgehen, der private Investitionen nach sich zieht. Auch hier gibt es bereits erste Leuchtturmprojekte. Nehmen wir drei heraus. Erstens ein gemeinsames Pilotprojekt mit VW auf der Insel Astypalea, auf der nur noch Elektrofahrzeuge – in Kombination mit einem Mobilitätskonzept – verkehren sollen, deren Strom wiederum aus Wind und Sonne gewonnen wird. Zweitens will der deutsche Elektroautohersteller Next.e.GO Mobile in Griechenland ein Joint Venture gründen und dort bis zu 30.000 Fahrzeuge jährlich produzieren.
Zu nennen ist drittens die Investition von Microsoft in Höhe von rund einer Milliarde Euro, mit der das US-Unternehmen drei Datenzentren für Cloud-Computing in Griechenland errichten will. Gleichzeitig hat sich Microsoft vorgenommen, Beschäftigten im öffentlichen Dienst Digitalfähigkeiten zu vermitteln, damit auch die Umsetzung funktioniert. Und damit das Land für Softwareentwickler attraktiver wird, hat es auch noch reduzierte Einkommensteuersätze ausgerufen, wenn etwa solche Spezialisten ihren Hauptwohnsitz nach Griechenland verlegen. Endlich sollen das angenehme Klima und die hohe Lebensqualität in Griechenland genutzt werden, um nicht nur Touristen, sondern auch hoch qualifizierte Berufstätige anzuziehen.
Damit diese Leuchtturmprojekte zu weiteren Investitionen und zu vermehrten Innovationen führen, werden weitere schon seit Langem geforderte Strukturreformen notwendig sein. Es bedarf nach wie vor einer Justizreform zur Beschleunigung von Wirtschaftsverfahren, eines Abbaus der immer noch überbordenden Bürokratie, einer Vereinfachung des Steuersystems sowie der Absenkung der Lohnnebenkosten. Es bleibt zu hoffen, dass die Regierung Mitsotakis ihre Ankündigung umsetzt und auch diesen wahrscheinlich schwierigsten Teil des Reformprozesses konsequent fortführt.
Zum Ende der Amtszeit der Regierung Mitsotakis mag das BIP in Griechenland zwar nur auf dem gleichen Niveau liegen wie zu Beginn seiner Amtszeit. Aber die Struktur der griechischen Wirtschaft dürfte dann eine andere, hoffentlich konkurrenzfähigere sein, in der griechische Unternehmer, von denen es nicht zu wenige gibt, neue Marktnischen besetzen werden. Griechenland könnte aus der Pandemie als ein Land mit neuer Wirtschaftsstruktur hervorgehen, die dann die Basis für ein stabiles Wirtschaftswachstum bildet.
Themen: Digitalisierung , Europa